Bonner Abendrealschule

Fünf Absolventen berichten über ihre ungewöhnliche Schullaufbahn

Fünf Absolventen der Bonner Abendrealschule an der Dorotheenstraße berichten, warum sie sich für diesen Weg entschieden haben. Zudem planen sie bereits ihren weiteren Bildungsweg oder ihre berufliche Zukunft.

Schulleiterin Nora Julia Nonhoff mit Kilian Schröder, René Marcel Well, Tayssir Kasen, Clara Kaster und Hassan Namek (v.l.). Sie alle sind Absolventen der Bonner Abendschule. (Foto: Martin Wein)

Von Martin Wein

Bonn. Hunderte Schülerinnen und Schüler haben in dieser Woche in Bonn ihre Abschlusszeugnisse erhalten. Darunter sind auch Clara Kaster, Hassan Namek, Kilian Schröder, René Marcel Well und Tayssir Kasen. Mit dem Papier in Händen planen sie nun ihren weiteren Bildungsweg oder ihre berufliche Zukunft. Aber die Fünf haben wie ihre Mitschülerinnen und Mitschüler an der Bonner Abendrealschule in der Dorotheenstraße noch mehr Grund zum Feiern als andere. Denn ihr Weg zum Ziel war länger und steiniger als für die meisten anderen. Jetzt haben sie nachgeholt, was aus unterschiedlichen Gründen vorher nicht geklappt hat.

René Marcel Well zum Beispiel hatte 2015 an einer Förderschule in Viersen zwar den Hauptschulabschluss geschafft. Aber dann ging es nicht weiter. „Meine Mutter starb in dem Jahr. Es lief alles nicht so gut“, sagt der 25-Jährige. Erst 2021 überzeugte ihn seine ältere Schwester, es noch einmal zu versuchen. Im ersten Halbjahr wiederholte Well regulär den Hauptschulabschluss. In den folgenden 1,5 Jahren brachte er es nun im Nachmittagskurs von 14 bis 19 Uhr zur Mittleren Reife. Morgens trägt er Zeitungen aus und jobbt 20 Stunden in einem Verbrauchermarkt. Mit dem Abschluss möchte Well gerne Zivilangestellter bei der Bundeswehr werden und sich mit viel Einsatz in den höheren Dienst hochdienen. Einen Termin zum Bewerbungsgespräch hat er schon.

Clara Kaster hat in den letzten Jahren wieder richtig Spaß am Lernen bekommen. Mathe, Biologie und Sozialwissenschaften seien ihre Lieblingsfächer, sagt die 22-Jährige, „aber alles andere war auch voll cool“. Sie schaffte den besten Abschluss unter den 42 Abgängern des Realschulzweigs. Vergessen die Zeiten, als Kaster in Klasse 10 die Motivation am Unterricht im Gymnasium verlor, tageweise schwänzte und am Ende gar nicht mehr hinging. Das Jobcenter hatte ihr dann irgendwann eine Arbeitsgelegenheit vermittelt. „Das hat mir viel Spaß gemacht.“ Der Einstieg in eine zweite Runde. Nach den Sommerferien wechselt die Bonnerin aufs Abendgymnasium. „Das solltest du auch, bei deinen Noten“, unterstreicht Schulleiterin Nora Julia Nonhoff.

Die Abendrealschule als Weiterbildungskolleg der Stadt Bonn kann besuchen, wer mindestens 17 Jahre alt ist, mindestens zehn Jahre die Schule besucht hat und berufstätig ist oder mindestens ein halbes Jahr lang war. Wehr- oder Zivildienst oder eine Ausbildung, selbst eine abgebrochene, werden anerkannt. Auch ein Hauptschulabschluss ist an der Abendrealschule möglich. 30 Männer und Frauen haben ihn in diesem Sommer abgelegt, berichtet Nonhoff. 58 schafften den Erweiterten Hauptschulabschluss nach Klasse 10. Zwar gilt ein Schulabschluss grundsätzlich nicht als Voraussetzung für einen Ausbildungsplatz. Viele Betriebe aber machen um entsprechende Bewerber immer noch einen weiten Bogen. Hier kann die Abendrealschule Perspektiven schaffen.

Das sehen auch Hassan Namek aus dem kurdischen Teil des Irak und Tayssir Kasen aus Syrien so. Beide sind schon älter als 30. Als sie 2009 beziehungsweise 2015 nach Deutschland kamen, mussten sie feststellen, dass die Abschlüsse aus der Heimat im Gastland wenig wert waren. „Ich habe in Düsseldorf erstmal Deutsch gelernt und dann viele verschiedene Jobs gehabt“, sagt Namek. Vor allem ums Geld sei es ihm gegangen, um es schnell wieder auszugeben. Inzwischen hat der 34-Jährige zwei Kinder und sieht die Dinge anders. Jetzt will er einen richtigen Beruf. Am Köln-Kolleg will er das Abitur angehen und nebenbei eine Ausbildung im ingenieurtechnischen Bereich. Tayssir Kasen empfindet es als Respekt gegenüber seinem Gastland, Deutsch zu sprechen und sich beruflich zu integrieren. Der 38-Jährige arbeitet halbtags im Einzelhandel und sagt zu der Doppelbelastung: „Ich habe einfach meine Hausaufgaben gemacht.“ Auch ein deutsches Sprichwort kann er dazu zitieren: „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“ Dem Syrer gefällt diese Einstellung. Nur die sozialen Kontakte zu seinen Geschwistern und Freunden habe er reduzieren müssen. „Das haben die nicht immer gut gefunden“, sagt er. Auch Kasen geht im Herbst aufs Bonner Abendgymnasium.

Eine besonders erstaunliche Entwicklung

Kilian Schröder hat möglicherweise die erstaunlichste Entwicklung der Fünf hingelegt. Ihm seien von Ärzten 100 Prozent geistige Behinderung attestiert worden, erzählt der 22-jährige Bornheimer. Daraufhin besuchte er die Bornheimer Verbundschule, eine Förderschule in Uedorf. Später stellte sich heraus, dass Schröder nur unter einer Lernschwäche litt. Er schaffte den Förderschulabschluss nach Klasse 10 und ging dann in eine berufsvorbereitende Maßnahme bei einem Bonner Träger. Der allerdings ging mittendrin in Insolvenz. Am Heinrich-Hertz-Europakolleg schaffte Schröder schließlich den regulären Hauptschulabschluss. Beruflich war er sich weiter unsicher. Nach der Abendrealschule könnte er sich nun verschiedenes vorstellen: eine Ausbildung zum Fachlageristen, als Garten- und Landschaftsbauer oder als Erzieher im Kindergarten.

Abendrealschule

Anmeldung bis zum 23. August

Die Abendrealschule als Angebot des Zweiten Bildungsweges steht Jugendlichen und Erwachsenen gleichermaßen offen. Eine persönliche Aufnahmeberatung ist auch in den Sommerferien bis zum 4. Juli sowie vom 27. Juli bis 4. August möglich. Die Anmeldung zum neuen Schuljahr muss spätestens am 23. August erfolgen. Der Unterricht findet wahlweise am Vor- oder Nachmittag statt. Weitere Infos unter 0228/775440 oder www.abendrealschule-bonn.de. (wmr)